Tübingen hat keine Universität. Tübingen ist eine Universität.
Städtereise
Tübingen hat keine Universität.
Tübingen ist eine Universität.
Behauptete einst der große Rhetoriker Walter Jens. Und er hat Recht. Auf Schritt und Tritt begegnen uns bei unserem Rundgang durch die Altstadt, altehrwürdige Gebäude, an denen die Alma Mater ihren Anfang nahm, wie die Alte Aula oder die Burse und Institute, an denen tagtäglich gelehrt und geforscht wird.
Tübingen ist aber auch eine junge, eine akademische Stadt, in der zurzeit 27.200 Studierende an der Eberhard-Karls-Universität mit ihren sieben Fakultäten und über 200 Studiengänge eingeschrieben sind. 12 Nobelpreise wurden an Persönlichkeiten mit Verbindung zur Universität verliehen, was für die Qualität der Hochschule, einer der ältesten Deutschlands, spricht Kreativität, Fantasie und Spielfreude sind in Tübingen nicht nur die Ressourcen einer engagierten Kulturszene, sondern auch die, eines ideenreichen Einzelhandels. Bei unserem Stadtrundgang finden wir jede Menge liebevoll dekorierte Lädele, Lebensmittelgeschäfte, in denen man unverpackte, ökologisch produzierte Ware kaufen kann und Geschäfte mit fair gehandelten Produkten. Hippe Vintage-Stores, kleine Boutiquen, aber auch der alteingesessene Fachhandel gehören zum unverwechselbaren Flair Tübingens. Apropos Dekoration: Gleich zu Beginn unseres Stadtrundgangs, beim Betreten der Eberhardsbrücke werden wir mit einem, für Tübingen typischen, Blumenmeer an den Geländern begrüßt, ist.
Von der Eberhardsbrücke haben wir einen fantastischen Blick auf die Neckarfront, der Bilderbuchansicht Tübingens. Von Alte Aula, Burse, Evangelisches Stift, Stiftskirche bis Schloss Hohentübingen sehen wir die historischen Gebäude, die Tübingen so geschichtsträchtig machen. Am linken Rand steht der Hölderlinturm, das Wahrzeichen der Stadt. In einem der Zimmer lebte der Dichter Friedrich Hölderlin von 1807 bis zu seinem Tod 1843. Vor dem Turm liegen die Stocherkähne, mit denen man sich von erfahrenen Stocherkahnfahrern auf dem Neckar herumfahren lassen kann. Vom Stocherkahn aus, kann man das besondere Flair Tübingens ganz genießen.
Wir steigen die steile Neckargasse hinauf und kommen am Zimmertheater vorbei zur Burse. Das mächtige Gebäude wurde direkt nach Gründung der Universität 1477 als Studentenwohnheim und als Lehranstalt errichtet. Einer der jungen Studenten und Magister, zwischen 14 und 18 Jahren, war der spätere Reformator und Humanist Philipp Melanchton. In dem 1805 zur ersten medizinischen Ausbildungsklinik, dem „Klinikum“, umgebauten Haus, war 1806/1807 auch Friedrich Hölderlin Patient. Nach der Burse sehen wir das Evangelische Stift, welches 1534 aus einem ehemaligen Augustinerkloster entstand und erweitert wurde. Absolventen im Stift, dass als Ausbildungsstätte für Theologiestudenten diente, waren unter anderem der Astronom Johannes Keppler, die Philosophen Hegel und Schelling und die Dichter Hölderlin und Mörike. Aktuell dient das Stift als Wohn- und Studienstätte evangelischer Theologie-Stipendiaten.
Das Schloss Hohentübingen lassen wir, im wahrsten Sinne des Wortes, links liegen und laufen durch die Wienergasse zum malerischen Marktplatz mit dem Historischen Rathaus. Im Schlosskeller befindet sich das älteste erhaltene Weinfass (1549), dass mit einem Fassungsvermögen von 84.000 Litern auch das größte je mit Wein befüllte Fass der Welt ist. Außerdem ist das Museum der Universität hier untergebracht, indem bedeutende Eiszeitfiguren, die zum UNESCO Weltkulturerbe gehören, zu bestaunen sind. Aus Zeitgründen mussten wir bei unserem Rundgang auf eine ausführliche Besichtigung schweren Herzens verzichten. Ein Besuch lohnt sich aber auf jeden Fall.
Der Marktplatz ist heute das Herz der Stadt, auf dem montags, mittwochs und freitags ein Wochenmarkt mit regionalen Produkten stattfindet. Das 2015 sanierte Rathaus wurde 1435 als Markthalle und Sitz von Gericht und Rat erbaut. Das oberste Stockwerk kam 1495 hinzu. Die Fassade zeigt das Wappen der Stadt und des Königreichs Württemberg. 1511 kam die Astronomische Uhr hinzu. Universitätsgründer Eberhard mit dem Bart ist als Herzog dargestellt und die sechs Portraits bedeutender Tübinger bilden ein reihe. Drei Frauengestalten stehen als Allegorien für Gerechtigkeit, Fleiß und Wissenschaft über den Arkaden. Der Neptunbrunnen wurde von Baumeister Heinrich Schickhardt nach Bologneser Vorbild entworfen.
Hinab durch die Marktgasse kommen wir zum Kornhaus, dem heutigen Stadtmuseum. Früher diente das Gebäude im Erdgeschoss dem Getreidehandel. Da das zweite Stockwerk erst 1607 aufgesetzt wurde, sieht man jetzt zwei verschiedene Fachwerkarten, die durch die Renovierung sichtbar wurden. Durch die Ammergasse kommen wir zur Krummen Brücke, die die Grenze zwischen Ober- und Unterstadt markiert und führt über den Ammerkanal. Die dazugehörige „Wette“, ein kleiner Teich, wurde früher als Viehtränke und als Löschwasserteich genutzt. Neben der Brücke steht das ehemalige Bürgerheim und Spital, ein zweigeschossiger Fachwerkbau aus dem frühen 16. Jahrhundert. Heute befindet sich darin ein Seniorenheim. Die Judengasse erinnert an das mittelalterliche Wohngebiet der der Tübinger Juden, die 1477 aus der Stadt vertrieben wurden.
Wir laufen weiter durch die Ammergasse, die uns mit blumengeschmückten Brücken empfängt und begeistert. Die Gasse war früher der Standort der Gerber, der Kanal nahm die übelriechenden Abfälle mit aus der Stadt und trieb außerhalb mehrere Mühlen an. Einst das Viertel der Tübinger „Gögen“, der Armen, hat sich völlig verändert. Nur die kleinen Häuser im Gögenviertel erinnern an die wenig privilegierte Vergangenheit des Viertels. Am Haagtorplatz stand früher eines der Stadttore, von dem Reste in der Stadtmauer zu sehen sind.
Wir kommen jetzt zur Jakobskirche, einer Station des europäischen Pilgerwegs. Im Kern ist die Kirche ein romanischer Bau, die kleinen Rundbogenfenster zeugen noch davon. Das Gebäude wurde um 1500 umgebaut und um den Chor erweitert. Im Innern sehen wir schöne Schlusssteine und Grabdenkmäler. Rätsel gibt ein Quader mit Reliefdarstellungen konzentrischer Kreise auf. Auf dem Platz hinter der Kirche fand bis in die 1950er Jahre der Schweinemarkt statt. Heute belebt am Samstagmorgen ein Markt den Platz.
Durch die Madergasse laufen wir auf ein mächtiges, mehrgeschossiges Fachwerkgebäude zu, dem ehemaligen Fruchtkasten und heutigen Bürgeramt. Errichtet wurde das imposante Gebäude um 1474 von Universitätsgründer Eberhard mit Bart. Dafür wurden rund 650 Baustämme aus dem nahen Schönbuch geschlagen und mit Pferdefuhrwerken in die Stadt gebracht. Über Jahrhunderte wurden im Fruchtkasten Korn gelagert und Weintrauben gepresst. In der großen Halle ist auch heute noch eine riesige Kelter zu besichtigen. Von der Bachgasse aus ist der Anbau aus dem 18. Jahrhundert mit seiner neueren Fachwerkbauweise sichtbar. Der Stiefelhof in der Neustadtgasse, circa 1323 erbaut, gilt als eines der ältesten urkundlich erwähnten Häuser Tübingens.
Wir biegen rechts ab in die Hirschgasse und gleich darauf links in die Collegiumsgasse. So kommen zur ehemaligen Ritterakademie, dem „Collegium illustre“, das um 1590 erbaut wurde. Bis zum 30-jähigen Krieg war es die bevorzugte Ausbildungsstätte des protestantischen Adels aus ganz Europa. 1817 wurde daraus auf Anordnung von König Wilhelm I. ein katholisches Konvikt, in dem Theologiestudenten ausgebildet wurden. Über dem Portal an der Ecke Lange Gasse/Collegiumsgasse ist das Wappen des Herzogtums Württemberg zu sehen.
Unter dem Haus Nummer 18 in der Lange Gasse, dem „Alten Schlachthaus“, fließt der Ammerkanal, der einst die Abfälle, auch die der Gerber, aus der Stadt transportierte. Heute nutzt der Tübinger Künstlerbund das Haus als Ausstellungsort. Seit der Stadtsanierung in den 1980er-Jahren, ermöglicht ein Durchgang einen malerischen Anblick auf den Kanal. Kurz vor der Johannes-Kirche biegen wir links ab und kommen zum Nonnenhaus, einem Gebäude aus dem 15. Jahrhundert mit einem sehr schönen Treppenaufgang. Ursprünglich war das Haus der Sitz karitativ tätiger Frauen, der „Nonnen“. Nach der Reformation 1534 wohnte hier der Medizinprofessor und Botaniker Leonhard Fuchs, der den ersten botanischen Garten der Stadt anlegte. An ihn und sein Werk, das „Neue Kräuterbuch“, erinnert eine Gedenktafel. 1696 wurde die „Fuchsie“ im zu Ehren nach ihm benannt.
Durch die neue Gasse kommen wir zum Holzmarkt mit der Evangelischen Stiftskirche. Bevor wir uns auf der Terrasse vor dem Kirchengebäude niederlassen und bei Kaffee und Kuchen, dass zuvor gesehene reflektieren, werfen wir noch einen Blick nach rechts auf den Pfleghof. Heute Saal des Musikwissentschaftlichen Instituts, diente das Gebäude aus dem 15. Jahrhundert, früher dem nahegelegenen Kloster Bebenhausen als Wirtschaftshof. Im Innenhof ist noch gut zu erkennen, dass das Erdgeschoss eine offene Halle mit einem großen Spitzbogen als Einfahrt diente. Ecke Pfleghofstraße/Schulberg befindet sich die mittelalterliche Eingangstür zur Kapelle mit Zisterzienserwappen und der Bauinschrift „Soli deo 1492“. Darüber sieht man eine Madonna aus der gleichen Zeit. Der ehemalige Kornspeicher unterm Dach des Pfleghofs ist heute ein Studentenwohnheim. Unterhalb des Pfleghofs war im späten Mittelalter im Haus Nummer 10 eine Lateinschule, die sogenannte „anatolische Schule“ untergebracht. Schüler in dieser Schule waren unter anderem die Dichter Ludwig Uhland und Wilhelm Hauff. Etwas weiter oben steht das ehemalige Haus der Bebenhäuser Äbte sowie eine Aussichtsterrasse mit einem schönen Blick über das Neckartal.
Bis ins 20. Jahrhundert wurde auf dem Holzmarkt mit Holz gehandelt. Von hier aus blickt man auf die Evangelische Stiftskirche, in deren Fenster die Kirchenpatrone Maria, Georg und Martin gezeigt werden. Vor der Kirche steht der Brunnen mit Georg dem Drachentöter. In der Heckenhauerschen Buchhandlung gegenüber, arbeitete von 1895 bis 1899 Hermann Hesse. Zuerst als Lehrling, dann als Buchhändlergehilfe. Die einstige Pfarrkirche St. Georg, erstmals 1192 urkundlich erwähnt, wurde im Zuge der Universitätsgründung 1477 zur Stiftskirche umgewandelt und im spätgotischen Stil neu errichtet. Den Turmhelm erhielt sie erst gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Am Wochenende ist, von Ostern bis Erntedank, die württembergische Grablege zur Besichtigung und der Turm geöffnet. Der Blick von oben auf die Dächerlandschaft der Tübinger Altstadt ist beeindruckend. Im Innern der Kirche sehen wir einen der schönsten gotischen Lettner Süddeutschlands, einen Altar des Dürer-Schülers Hans Schäufelein, einen reich verzierten Taufstein, eine um 1500 meisterhaft gefertigte Steinkanzel und ein ansehnliches Chorgestühl. Ein Kleinod sind die um 1477 geschaffenen Glasfenster. Seit der Reformation dient der Chor als Grablege des württembergischen Herrscherhauses.
Bevor wir zum Ausgangspunkt unserer Stadtbesichtigung zurücklaufen, der Erhardsbrücke, sehen wir das Ensemble der Münzgasse, dass rund 500 Jahre nach der Universitätsgründung entstand. Wie, Gottseidank, vieles in Tübingen, hat auch dieses den 2. Weltkrieg nahezu unbeschadet überstanden Die Alte Aula war das einstige Zentrum der Universität, die 1477 gegründet wurde. Im Gitter des Balkons erkennt man das Wappen der Lehranstalt: Zwei gekreuzte Zepter, das Symbol der eigenen Gerichtsbarkeit und einstigen Unabhängigkeit. Im Giebel sieht man das Wappen der württembergischen Herzöge. Gegenüber der Stiftskirche, im Haus Münzgasse 15, war der Sitz des ehemals berühmten Verlages „Cottahaus“.
Obwohl Tübingen mit langer Tradition und Geschichte aufwarten kann, ist die Stadt mit einem durchschnittlichen Alter der Einwohner von 41,1 Jahren (Stand 2018) eine sehr junge Stadt. Großen Anteil daran haben sicherlich die rund 27.000 Studierenden unter den fast 90.000 Einwohnern. Die Stadt ist auch für ihren Blumenschmuck berühmt. Rund 300 üppig bestückte Blumenkästen und 30 Blumenampeln schmücken die Stadt vom Frühjahr bis in den Herbst und begeistern die Besucher.
Was ist noch interessant in Tübingen?
- Guinnessbuch der Rekorde: Das 1540 erbaute Fass auf Schloss Hohentübingen gilt als das älteste erhaltene Riesenweinfass der Welt und als größtes je mit Wein befülltes. Es ist rund 4 Meter hoch, rund 4 Meter breit und rund 7 Meter lang. Sein Fassungsvermögen liegt bei 84.000 Liter. Es kann nur in den Wintermonaten besichtigt werden.
- UNESCO Weltkulturerbe: Im Schloss Hohentübingen sind die Sammlungen Alte Kulturen zu Hause. Zu ihren Glanzstücken gehören das Mammut, das Wildpferd, der Tübinger Waffenläufer sowie eine ägyptische Grabkammer. Die Sammlungen gehören zum Museum der Universität Tübingen und geben spannende Einblicke in die Geschichte der menschlichen Kultur. Auf 2.000 Quadratmetern befinden sich rund 4.600 Exponate, darunter auch die ältesten Kunstwerke der Menschheit (UNESCO-Weltkulturerbe Eiszeitkunst).
- ChocolART: Das größte Internationale Schokoladenfestival Deutschlands, das jährlich rund 300.000 Besucher in die Altstadt lockt.
- Die weltgrößte Sammlung der Scherenschnittkünstlerin Lotte Reiniger befindet sich im Stadtmuseum Tübingen. Das Tübinger Stadtmuseum zeigt die weltgrößte Präsentation des Gesamtwerks von Lotte Reiniger.
- Die virtuose Scherenschnittkünstlerin entwickelte das Medium zu einem bis dahin nicht gekannten Höhepunkt, sie war erfindungsreiche und fantasievolle Schattenspielerin und Filmpionierin. Die Kunst des Scherenschnitts verwendete Reiniger auch für ihre Silhouetten Filme. Vor allem „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“, der zwischen 1923 und 1926 als erster abendfüllender Animationsfilm der Geschichte produziert wurde, machte Lotte Reiniger berühmt. Das moderne europäische Schattentheater wurde entscheidend durch sie geprägt.
- Das Hesse Kabinett. Hermann Hesse, einer der berühmtesten und meistgelesenen Schriftsteller und Dichter Deutschlands und Literaturnobelpreisträger, absolvierte von 1895 bis 1898 seine Lehrzeit in der Buchhandlung Heckenhauer am Holzmarkt. Die Räume in dem 500 Jahre alten Altstadthaus befinden sich in einem fast unveränderten Zustand.
- Die Astronomische Uhr des Astronomieprofessors Johannes Stöffler aus dem Jahr 1511 im Ziergiebel des historischen Rathauses am Marktplatz.
- Historische Sternwarte. Das kleine Observatorium auf Schloss Hohentübingen wurde vor 200 Jahren speziell für den sogenannten „Reichenbach’schen Wiederholungskreis“ errichtet. Den Wiederholungskreis gibt es weltweit nur noch wenige Male, so etwa in Florenz, Mailand oder Paris. Allerdings existiert nur in Tübingen das historisch einmalige Gesamtensemble aus Originalgerät und speziell dafür errichtetem Gebäude, das auch noch das älteste Bodenobservatorium der Welt darstellt. Eine wissenschaftsgeschichtliche Sehenswürdigkeit.
- Stocherkahnfahrt mit Blick auf die Neckarfront.
- Busfahren ist samstags auf allen Linien im Stadtgebiet kostenfrei
Text: Volker Ammann, Quelle: Verkehrsverein Tübingen, Titelfoto: Volker Ammann
Wir bedanken uns herzlich bei dem Verkehrsverein Tübingen für die freundliche Unterstützung. Einen Stadtplan für den Rundgang erhalten Besucher im Tourist & Ticket Center des Verkehrsvereins, An der Neckarbrücke 1, 72072 Tübingen, Telefon 07071 9136 0, mail@tuebingen-info.de, www.tuebingen-info.de.